Zeit und Zeitlosigkeit im Klassischen Musikschaffen Fortsetzung | |||||||||
Manche Musikprofis sagen bei meinen Einspielungen: ,das Cello in dem Konzert klingt viel zu rein; bei einem richtigen Cello, da muß man auch noch das Kratzen des Bogens an der Saite hören; oder: ,das Stück ist so unpersönlich, da ist alles so perfekt, da hört man ja niemanden atmen oder mal husten oder auch nur mal ein bißchen daneben spielen. Solche Musikprofis haben das innere Reich der Musik noch nie betreten, und sie sind als studierte Fachleute weiter von dem Erlebnis Musik entfernt als der einfache Mann und die einfache Frau auf der Straße, die von Klassik ,angeblich keine Ahnung haben. Wer sich ans Instrument kettet, wird nie . Und ich frage mich, wie stellen sich manche Fachleute den Prozeß des Komponierens vor und was ist ihr Begriff von Werktreue? Wenn Beethoven in seinem Inneren ein Kratzen als Teil der Komposition erfahren hätte, dann hätte er es sicherlich notiert, denn auf einem Cello zu kratzen ist ja nicht schwer, und zu husten und zu schnaufen ist ja noch leichter. Aber kommen wir noch mal zurück zu dem, was Bach als unwichtig ansah. Selbst wenn man im Gegensatz zu Bach wie so viele ,Fachleute heute die Klangfarbe, die Lautstärke, die Dynamik usw. als so ungeheuer bedeutend ansieht, dann bietet die heutige Elektronik auch hier prinzipiell viel detailliertere Gestaltungsmöglichkeiten. Mit elektronischen Mitteln können Sie zum Beispiel heute den Klang einer Violine sich in fließender Veränderung in den Klang einer Flöte und dann in den Klang einer Posaune entfalten lassen usw., und sie können mit den elektronischen Möglichkeiten sehr viel lauter und auch sehr viel leiser spielen, als das ein Musiker auf seinem Orchesterinstrument je könnte. Auch hier hat die Elektronik nur Vorteile. Aber der wichtigste Grund, warum ich vorwiegend elektronische Mittel einsetze, ist der, das sie mir ermöglichen, als eigener und wirklich authentischer Interpret die in meinem Inneren gehörte Musik in jedem rhythmischen und tonalen Detail fast naturgetreu wiederzugeben eine Arbeit, die sonst Monate an Kommunikation mit den einzelnen Interpreten erfordern würde und dann immer noch durch die Begrenzungen des Instrumentes und die veränderliche Verfassung des Spielers während der jeweiligen Aufführung eingeschränkt würde. JOURNALIST: Kehren wir noch einmal zu Ihrer Sicht eines klassischen Komponisten zurück. Sie sehen sich als Komponist in der Tradition der großen Klassiker wie Sie in einem Ihrer Bücher beschrieben haben. Worin liegt Ihrer Meinung nach der Unterschied zwischen Ihrem Wirken und dem Schaffen dieser Komponisten? PETER HÜBNER: In meinem von Ihnen erwähnten Buch Natürliches Musikschaffen habe ich beschrieben, daß es ein und dieselbe schöpferische Kraft ist, die in Bach und Beethoven und Wagner und all den anderen Meistern der Musik die großen Zeugnisse musikalischer Ethik hat entstehen lassen.Beethoven Keiner dieser Tonschöpfer hat behauptet, daß er es sei, der die Musik mache, sondern sie haben sich im Dienste Gottes erfahren wie Bach, oder im Dienste der Wahrheit und der Menschenwürde wie Beethoven, oder im Dienste der Natur wie ich es heute ausdrücken möchte. Und die Beliebtheit ihrer Werke bei Millionen von Menschen noch nach Jahrhunderten sollte auch für den, der die Quelle ihrer Inspiration nicht in sich selbst erfährt, nahelegen, daß sie nicht geheuchelt haben.Goethe Dennoch bewirkt die Zeit Unterschiede in den natürlich geschaffenen Kompositionen. Die klassischen Tonschöpfer haben ihre Werke auch immer in Bezug zu den Notwendigkeiten von Zeit und Umständen gesehen, und so erscheint uns die Musik der einzelnen Komponisten in der Aussage unterschiedlich. Dennoch ist es für einen Komponisten, der auf jener Lebens- ebene, aus der Musik entsteht, bewußt ist, eindeutig, daß es ein und dieselbe musikalische Kraft ist, die alle diese großen Menschen inspirierte und leitete. Ich glaube, daß sich meine heutige Situation allenfalls in zwei äußerlichen Dingen von meinen Vorbildern unterscheidet: Einmal hat mir die Natur mit unserer heutigen Zeit der allgemeinen Demokratisierung eine glücklichere äußere Situation der freien und ungebundenen musikalischen Betätigung beschert als den meisten vor mir. Ich bin frei und unabhängig, meine Musik erreicht ihre Liebhaber, und diese bringen mir durch den Kauf meiner CDs genügend materiellen Rückhalt, daß ich meine menschlichen und musikalischen Ziele verfolgen kann. Ich muß mit meiner Musik beispielsweise keinem Fürsten gefallen, von dessen Almosen ich lebe, wie Haydn, Mozart und Beethoven, oder ich brauche mich nicht von kleingeistigen Kirchendienern schikanieren zu lassen, die mich und meine Familie mit einem armseligen Gehalt in Schach halten wie Bach. Ich muß auch nicht wie Mozart oder Verdi Musik zu dummen Operntexten schreiben, die einem oberflächlichen Publikum mit Eifersuchts-, Mord- und Bestechungsszenen imponieren wollen, das dann genügend Eintritt dafür zahlt. |
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